Wer zu schnell fährt, zu allem Überdruss auch noch überholt und dann noch einen Unfall verursacht, der muss doch „schuld“ sein…oder?

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Das sieht  das Oberlandesgericht Hamm offenbar jedoch anders:

Das Gericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine Autofahrerin aus Lüdenscheid mit einem Motorradfahrer zusammenstieß, der sie mit überhöhter Geschwindigkeit innerorts überholt hatte.

Wer darf, wer nicht?

Die Fahrerin fuhr mit ihrem PKW von dem Parkplatz eines Supermarktes rechts in die Straße ein. Auf der anderen Straßenseite fuhr ein PKW in ihre entgegengesetzte Richtung. Die Frau beachtete dieses Auto, hinter dem ein Motorrad fuhr, aber nicht, da ihre Straßenseite frei war. In dem Moment, in dem sie auf die Straße einfuhr, überholte der Motorradfahrer den anderen Wagen vor ihm. Dabei fuhr er schneller als die erlaubten 50 Stundenkilometern. Da die Frau bereits halb auf der Straße stand, kam es zum Unfall, bei dem sich der Mann verletzte. An seinem Motorrad entstand außerdem ein Totalschaden. 

Frau am Steuer?

Der Motorradfahrer fühlte sich absolut frei von Schuld und verklagte die Autofahrerin auf ca. 8.000 € Schmerzensgeld sowie 11.500 € Schadensersatz.

Dieser Ansicht gab ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten schließlich sogar Recht: Die alleinige Verantwortung für den Unfall habe die Autofahrerin zu tragen. Grund dafür sei, dass die Autofahrerin in eine andere Straße eingefahren und dadurch verpflichtet gewesen sei,“ jede Gefahr für den fließenden Verkehr auszuschließen“.

Lust auf juristische Spitzfindigkeiten? 

Nach der Straßenverkehrsordnung ist ein Überholen bei gleichzeitigem Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nur ein Geschwindigkeitsverstoß und kein Verstoß gegen ein gesetzliches Überholverbot. Der Motorradfahrer hatte, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 Stundenkilometern überschritten hatte, einen Geschwindigkeitsverstoß begangen.  Daraus ergibt sich grundsätzliches folgerichtig, dass er in diesem Fall erst recht nicht hätte überholen dürfen. Es ergibt sich also quasi ein „faktisches“ Überholverbot.  

So weit, so gut, er hätte also eigentlich gar nicht überholen dürfen.

Ein Überholverbot schützt aber nur die Verkehrsteilnehmer, die auch von einem regulären, gesetzlichen Überholverbot geschützt sind. Davon sind diejenigen Verkehrsteilnehmer nicht umfasst, die von einer Parkplatzausfahrt in eine Straße einbiegen. Diese Fahrer müssen besondere Vorsicht walten lassen, da sie in den bereits fließenden Verkehr einfahren.  

Heißt jetzt was?

In dem vorliegenden Fall gab es die besondere Situation, dass der Motorradfahrer das einbiegende Auto zu Beginn seines Überholvorgangs nicht sehen konnte. Das Sachverständigengutachten ergab, dass sich der Unfall vermutlich auch dann ereignet hätte, wenn der Motorradfahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei seinem Überholvorgang eingehalten hätte. Aus diesem Grund ist dem Motorradfahrer ein Verschulden nicht anzulasten gewesen.

Kann man so sehen, muss man nicht so sehen.

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Textbezogene Paragraphen / Urteile:
vgl. Oberlandesgericht Hamm Urt. v. 16.04.2014, Az. 9 U 149/13
§§ 249 ff., 823 BGB, §§ 1, 5, 7 StVO

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